Girl, like: Daaaammn!

Zoomer-Star Ice Spice (Isis Naija Gaston) stammt aus der Bronx und bringt seit einem Jahr die US Drill Scene durcheinander. Im Unterschied zu Kolleginnen identifiziert sie sich durch ihre orange Wuschelfrisur, unterkühlten Textvortrag und ein zentrales Thema: weibliches Selbstbewusstsein. Letzteres eine commodity, die von Millionen gleichaltriger Girls dringend gebraucht wird. Ihre Fans laufen unter #Munchies, nach Ice’s Track Munch (Feelin’ U), in dem sie klarstellt, dass ihre Attraktivität sie nicht zu Gefühlen gegenüber irgendwelchen Typen verpflichtet. Das alles hat ihr erstaunlich schnell Collabs mit Drake, Pink Panteress, Nicki Minaj, Taylor Swift eingebracht, die Message weiblicher Unabhängigkeit bleibt aber unverändert. Und das ist wichtiger als Ice’s Einfluss auf US Drill oder Hiphop oder Zoomer-Pop oder whatnot. Grah.

Macht Musik depressiv?

Ist das so? Zumindest beim Musikmachen? Da gibt es diese neue Studie, die uns beim flüchtigen Lesen der Headline in die „wusste ich’s doch“ Falle tappen lässt. Wurde doch bei über 5000 untersuchten Schwed:innen festgestellt, dass Depressionen (und ähnliche psychische Probleme) häufiger bei Leuten auftreten, die mindestens in der Freizeit, noch mehr aber professionell Musik machen. Was die Wissenschaft allerdings dazu sagt, ist, dass wir nicht wissen, ob Leute depressiv sind, weil sie Musizieren, oder eben Musiker:innen werden, weil sie psychisch belastet sind. Oder sind Musikschaffende auch einfach nur empathischer und neigen eher dazu, über ihre seelischen Belastungen zu reden? Wäre ein schlüssiges Ergebnis der Studie nicht etwa, dass wir den Umgang mit seelischen Probleme mehr in unser tägliches Leben integrieren sollten, weil sie das nämlich sind: Teil des Alltags? Und wäre es nicht an der Zeit, anzuerkennen, dass Menschen, die tief in ihre Seele hineingreifen und Sorgen und Ängste rausholen, die wir alle haben, und zu Musik formen, von uns mehr unterstützt werden müssen? Weil sie nämlich etwas wichtiges tun. Für alle anderen. Damit wir auf Probleme nicht länger mit Verdrängen und/oder den verschiedenen Sorten von Aberglauben reagieren müssen. The effects of playing music on mental health outcomes, pic dollar gill cc nc

Woher kommt der Gitarrenton, continued

Jim Lill, nach Eigenangaben Gitarrist aus Nashville, hat die erfreuliche Eigenschaft, bei seiner Suche nach dem Ursprung des Gitarrentons einfach nicht aufzuhören. Nachdem er neulich schon herausfand, dass das Holz, aus dem eine Gitarre gebaut ist, keinen hörbaren Unterschied macht, gibt es inzwischen eine ganze Serie von „ich bin nur ein Musiker aus Nashville“ Videos von ihm, in welchen er untersucht und zeigt, was es mit Sustain, Zustand der Gitarrensaiten, der Gitarrenbox bzw dem Gehäuse des Combos und mit den verschiedenen Bauteilen eines Gitarrenamps auf sich hat. Das tolle ist: Du kannst in seinen Videos selber hören, wie und wo du Tausende von Euros sparen kannst. An der richtigen Stelle. Hier ist die Liste der Videos, via metafilter.

FACS: „When You Say“

Post-Punk-Track der Woche. Definitiv. FACS aus Chicago gibt es in der einen oder anderen Version schon seit 10 Jahren, aber der Vorabtrack für das im April kommende Album Still Life In Decay ist mir einen Blogartikel wert. Und ich hoffe, die drei netten Leute kommen nicht in Schwierigkeiten, weil ihr Sound so unamerikanisch ist. Für mich als Europäer natürlich extra sympathisch, und mir fallen sofort The Fall und Joy Division und die britischen frühen Achtziger dazu ein. via treble

The Würst Nürse Cürse

Würst Nürse ist die australische Antwort auf den globalen Pflegenotstand: 5 Krankenschwestern aus Melbourne laden ihre Frustration, Überarbeitung und ihre Wut auf eine Bandcamp-Seite. The W​ü​rst N​ü​rse C​ü​rse ist ihre 5-Track EP vom April, auch zu empfehlen die neue Single Fresh Outta Bedpans. via pop&rewind

Mel Made Me Do It

Seit ein paar Wochen online: Stormzys neues Single-Epos Mel Made Me Do It. Diesmal nicht mit der geballten Faust der working class wie in Big For Your Boots oder Vossi Bop, sondern als Longform-Rap zwischen Talkshow und Black Culture, mit Kalimba-Grime-Track und mehr Message pro Quadratmeter als das restliche Genre. Trotzdem oder eben deswegen wird der UK-Charts-Topper Stormzy hierzulande überhaupt nicht wahrgenommen (ausser vor ein Jahren mal, mit Schwiegersohn-Troubadour Ed Sheenan). Klar, weder können Durchschnittsdeutsche ihren Körper ausserhalb von Polkarhythmen bewegen (abgesehen von einer Minderheit), noch wird die Botschaft einer selbstbewussten schwarzen Kultur in Deutschland, dem proud home of the holocaust (das sich einseitig zum Verbündeten Israels erklärt statt Verantwortung für die eigene Vergangenheit zu übernehmen) überhaupt nur ansatzweise verstanden. Der erwähnte Durchschnittsdeutsche hat (abgesehen von der erwähnten Minderheit) Schwierigkeiten damit, auch nur zu sehen, dass es eine schwarze Kultur gibt, oder auch nur irgendeine Kultur südlich des Fleischwurstäquators. Da ist also noch Raum für Verbesserungen. Positiv ausgedrückt. Oder wie es Stormzy selber sagt: „Ich war so lange der Sündenbock für euch, ich vermute ihr findet es nicht so aufregend, wenn ich gewinne. Buhu, holt schon mal die Geigen raus.“ Und: „Was soll ich sagen? Ich bin sowas wie ein junger, schwarzer Präsident Biden, mit nem Haarschnitt.“ Word.

Cable Regime: Assimilate & Destroy

Birmingham 1992. Also vor 30 Jahren, in der de-industrialisierten Zone Britanniens. Cable Regime waren von 88 bis 97 einer der Vorreiter des gitarrenlastigen Industrial, nur eben nicht durchgängig tanzbar und ohne die Macho-Allüren des EBM, also kommerziell weniger erfolgreich. Was Paul Neville, Steve Hough und Diarmuid Dalton, teilweise mit Unterstützung durch Justin Broadrick (Godflesh) erreichten, war eine Fortsetzung des 70er Prog/Noise von Chrome oder This Heat mit den Trepanationsgitarren des frühen Industrial Metal mit einer untypisch verspielten Benutzung von Sampling Loops. Der Track hier, „A Beam Of Iridescent White Light Mix„(Bandcamp-Link), fasst die neun Jahre Bandgeschichte gut zusammen.

Vultures Of North

Ja, es ist Metal. Aber nicht, wie wir ihn kennen (Startrek Semiquote). Was Orbit Culture da hinlegen, ragt so baumwipfelhoch über andere aktuelle Metaltracks hinaus, dass ich vom ersten Mal hören an verblüfft bin. Ja, zunächst steht auch diese vierköpfige Gruppe von Liebhabern nordischer Mythologie knietief in Metal-Klischees (incl. Haareschütteln). Aber eben nicht tiefer. Und was sie in Vultures Of North verdammt richtig machen: Sie hämmern über 2 Minuten lang dasselbe Riff in die Nacht, bis mal der erste Akkordwechsel kommt: Einen verfluchten Halbton tiefer. So ungefähr der düsterste, nordischste und mythischste Akkordwechsel, der einem Gitarristen einfallen kann. Plus: Kein Todesgekreisch, kein „melodischer“ Gesang, keine Gitarrensoli. Nur ein brachiales Riff, das zum Ende hin einem unbehaglichen, bedrohlichen Ambient weicht und dann unausweichlich noch einmal aufschäumt. Was Orbit Culture damit musikalisch (oder kulturell) leisten, ist für mich durchaus mit Meshuggah vergleichbar, die ihrerseits dem Metal eine mythische Wiedergeburt als Djent schenkten. Ich hoffe, wir hören in Zukunft mehr monophonen Wahnsinn aus den offenbar endlosen, von gehörnten Monstren durchstreiften nordischen Wäldern. via revolver

Collapse Culture: Drag Your Coffin My Lord

Collapse Culture ist einerseits eine US-amerikanische neurechte Endzeitfantasie vom Zusammenbruch der Zivilisation (weswegen man dann wahrscheinlich Waffen kaufen und Leute erschiessen muss), und das ist eher unlustig – und andererseits ein cooles, nordkalifornisches Dub-Duo. Nun läuft Dub gerne in Gefahr, in trüben Ganja-Wolken die Orientierung zu verlieren und dabei über die eigenen Echoschleifen zu stolpern – nicht so in diesem Fall. Collapse Culture halten Kurs, indem sie Industrial, Wave, Elektro, IDM mit verwenden. Gute Idee. Hört euch den Vorab-Track Nuclear Semiotics vom Album Drag Your Coffin My Lord an, das Mitte September rauskommt. via treble

Bitchin Bajas: Amorpha

Minimal-Drone-Trio Bitchin Bajas hat seit 2010 bereits 10 Alben raus, der Track hier ist vom neuen, elften: Bajascillators. Grossartige Kombi aus Steve Reich, prä-techno Kraftwerk, Mouse on Mars, leichte, angenehme Drogen, akustische Instrumente, stundenlanges Geblubber. Sehr schön. via treble

Luggage: Happiness

Minimale Gitarren aus Chicago. Luggage haben schon vor einem Jahr ihr drittes Album Happiness veröffentlicht. Aber wann soll man die ganze grossartige Musik entdecken, ausser, wenn man Ferien hat, und genug Zeit, um auf Bandcamp herumzuklicken? Aufgenommen in Steve Albinis Electrical Audio Studio, irgendwie typisch melancholischer Mid-West Post-Noise. Hört es euch selbst an.